Wenn sich Bilder weniger hinsichtlich ihrer diskursiven und kommunikativen Aspekte von anderen Medienformaten unterscheiden, sondern eher in Hinblick auf ihren Erkenntnisstil, so muss dieser eingehender betrachtet werden. Hierzu ist es notwendig, sich jenen Bedingungen zuzuwenden, die insbesondere bei der Herstellung wissenschaftlicher Bilder eine Rolle spielen.
Visualisierung des Unsichtbaren
Wissenschaftliche Bilder sind im Gegensatz zu künstlerischen oder Alltagsbildern immer zweckgebunden, sie werden selten willkürlich produziert [1]. Sie sind eingebunden in den Kanon der Wissenschaft und es erwartet sie ein großes Publikum.
»Die Bilder sind Teil der Kommunikation wissenschaftlicher Inhalte zwischen Wissenschaftlern sowie von Anschauungen über Wissenschaft in der Öffentlichkeit.« [2]
Wissenschaftliche Bilder gehören also einer spezifischen Klasse von Bildern an, da sie meist nicht für ein Laienpublikum hergestellt werden, sondern für den geschulten Blick von Expert:innen. Sie sind – eher noch als dies bei Kunstbildern oder Urlaubsfotos der Fall ist – durch die Notwendigkeit definiert, lesbar zu sein. [3]
Zur Bildproduktion im Kontext der Wissenschaften gehören deshalb Professionalisierung und Standardisierung sowohl der Herstellungsverfahren als auch der Fähigkeiten und Kenntnisse der Bildnutzer:innen. Im Zuge von Technisierung und Digitalisierung werden Wissenschaftsbilder zunehmend und überwiegend mithilfe von Maschinen angefertigt.
»Die Strategie, die Beobachtung der Natur an technische Apparaturen zu delegieren, wird im Verlauf des 19. Jahrhunderts perfektioniert.« [4]
Zwischen die Augen der Wissenschaftler:innen und das Erkenntnisobjekt wird ein technisches Artefakt geschaltet, das es gestattet, Unsichtbares sichtbar zu machen [5]. »Die technologische Konstruktion von Daten generiert erst das Bild, das als optische Resultante dem Blick Einsichten erschließt.« [6] Wissenschaftsbilder sind folglich »keine Abbilder, sondern visuell realisierte theoretische Modelle bzw. Datenverdichtungen« [7].
Genauer gesagt, zeigen wissenschaftliche Bildproduktionen vornehmlich nicht das Sichtbare, sondern das visualisierte Unsichtbare. »Visualisierungen sind ein integrales Element im Prozess der Wissensproduktion.« [8]
Der Unterschied zwischen Sichtbarkeit und Visualität besteht dann in ihrer jeweiligen Relation zur Realität. Es gibt sichtbare Phänomene oder Eigenschaften der Welt und dort, wo sie nicht sichtbar sind, werden sie durch Visualisierungsstrategien sichtbar gemacht. Die unsichtbaren Phänomene werden dementsprechend im ›Stil des Denkens‹ konstruiert und das Auge der Betrachter:innen dahingehend geschult, diese Phänomene als solche wahrzunehmen. »Das Visuelle […] ist ein stets verfügbares Erzeugnis der Technologie und gehört einer Parallelwelt der falschen Präsenz an.« [9]
Kontingenz der Darstellung
›Falsch‹ ist das Bild, weil die Abbildung vorgibt, ein Phänomen so zu zeigen, wie es tatsächlich ist. Letztlich aber könnte es auch anders sein, sobald sich nämlich der Herstellungsmodus ändert, beispielsweise Ausschnitt, Farbe oder Auflösung des Bildes.
Das Bild ist gekoppelt an die spezifischen Bedingungen seiner Herstellung und diese wiederum sind durch Entscheidungen des Personals gelenkt, das die Apparaturen bedient.
Es ist also durch die Erfordernisse der zur Verfügung stehenden Apparaturen bedingt. »Diese Bilder stellen her, was der ausgebildete Experte sehen will – nicht im Sinne eines subjektiven Wunsches, sondern als theoriegestützte Erwartung an die Technologie der bildgebenden Verfahren.« [10] Deshalb können Wissenschaftsbilder – ebenso wie alle anderen bildvermittelten Kommunikationen – als kontingent bezeichnet werden.
Problematisch ist allerdings, dass sie aufgrund ihrer reduzierten Komplexität den Eindruck erwecken, sie seien wahrhaftig.
»Für den Gebrauch wissenschaftlicher Bilder ist ein naives Bildverständnis charakteristisch, wonach ein Bild etwas darstellt, das auch tatsächlich existiert.« [11] Das Bild ist nicht mehr nur Hilfsmittel auf dem Weg zur Erkenntnis, sondern wird selbst zum Erkenntnisobjekt. Die Grenzen der realen und der visualisierten Welt verwischen, sodass die wissenschaftliche Auseinandersetzung – sobald ein bildkommunikatives Verfahren zum Einsatz kommt – nicht über das reale Objekt geführt wird, sondern stattdessen über das visualisierte Objekt. »Das wissenschaftliche Bild im engeren Sinne bildet den Gegenstand der Untersuchung ab.« [12] Ein Beispiel:
Statistiker:innen betrachten die Zahlen und Kurven als seien sie das zu untersuchende Phänomen und nicht nur eine Auswahl aus einer Vielzahl von Möglichkeiten, dieses Phänomen zu visualisieren. [13]
Authentizität und Konstruktionscharakter
Bildvermittelte Kommunikationen beruhen also auf einer »Magie der Bildlichkeit, die die wissenschaftlichen Darstellungen mystifiziert, als reine, schöne Phänomene darstellt und vor allem Kompetenz und Perfektion transportiert.« [14] Wissenschaftliche Erkenntnis drückt sich in Bildern aus und wird mit dem Erkenntnisobjekt gleichgesetzt.
Die Differenz zwischen Objekt und Bild löst sich auf und dies fördert den Glauben an das Bild, an die Authentizität der Darstellung. Wissenschaftsbilder sind immer sowohl Beweis als auch zu Beweisendes.
»Sie zeigen etwas, ohne es zu erklären oder zu kommentieren.« [15] In der Herstellung sowie im Umgang mit dem Bild wird sein Konstruktionscharakter vergessen, wird die Kontingenz der Darstellung, wenn nicht negiert, so doch bewusst oder unbewusst übersehen. Im Moment der Fertigstellung und der späteren Betrachtung eines Bildes wandelt sich sein Status. Aus der Visualisierungsform wird ein Faktum, eine Wahrheit, die normativen Entscheidungen unterliegt.
Die Wirkmächtigkeit eines Bildes resultiert demnach nicht nur aus einer Ausblendung der »Abhängigkeit des Dargestellten von den verwendeten Apparaturen und Meßverfahren« [16], sondern vor allem aus seiner Eigenschaft des ›doing normality‹, des »Bildermachen[s] als Kulturpraxis« [17].
[1] Vgl. Burri, Regula Valérie (2001): Doing Images. Zur soziotechnischen Fabrikation visueller Erkenntnisse in der Medizin. In: Bettina Heintz & Jörg Huber (Hg.), Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und virtuellen Welten, Wien; New York: Springer-Verlag, S. 277-305, S. 281.
[2] Hüppauf, Bernd/Weingart, Peter (2009): Wissenschaftsbilder – Bilder der Wissenschaft. In: Dies. (Hg.), Frosch und Frankenstein. Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaft, Bielefeld: transcript, S. 11-44, S. 11.
[3] Vor allem die Naturwissenschaften können diesbezüglich auf eine bildgeprägte Wissenschaftsgeschichte zurückblicken.
[4] Heintz, Bettina/Huber, Jörg (2001): Der verführerische Blick. Formen und Folgen wissenschaftlicher Visualisierungsstrategien. In: Dies. (Hg.), Mit dem Auge denken. Strategien der Sichtbarmachung in wissenschaftlichen und visuellen Welten, Wien; New York: Springer-Verlag, S. 9-42, S. 19.
[5] Vgl. Gall, Alexander (2007): Konstruieren, kommunizieren, präsentieren. Zur Einführung. In: Ders. (Hg.), Konstruieren, Kommunizieren, Präsentieren. Bilder von Wissenschaft und Technik, München: Wallstein, S. 9-24, S. 9.
[6] Böhm, Gottfried (1999): Zwischen Auge und Hand. Bilder als Instrumente der Erkenntnis. In: Jörg Heller & Martin Huber (Hg.), Konstruktionen Sichtbarkeiten, Wien; New York: Springer-Verlag, S. 215-228, S. 224f.
[7] Heintz/Huber 2001, S. 9.
[8] Hüppauf/Weingart 2009, S. 21.
[9] Belting, Hans (2007): Die Herausforderung der Bilder. Ein Plädoyer und eine Einführung. In: Ders. (Hg.), Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München: Wilhelm Fink Verlag, S. 11-26, S. 18.
[10] Hüppauf/Weingart 2009, S. 29.
[11] Grube, Gernot (2006): Digitale Abbildungen – Ihr prekärer Zeichenstatus. In: Martina Heßler (Hg.), Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der Frühen Neuzeit, München: Wilhelm Fink Verlag, S. 179-199, S. 181.
[12] Ebd., S. 182.
[13] Weiterführend hierzu siehe Sybilla Nikolow. Sie behandelt in ihrem Beitrag »Imaginäre Gemeinschaften. Statistische Bilder der Bevölkerung« eben jenes Phänomen der Konstruktion von sozialer Realität.
[14] Heßler, Martina (2007): Die ‚Mona Lisa der modernen Wissenschaften‘. Die Doppelhelix-Struktur als kulturelle Ikone. In: Alexander Gall (Hg.), Konstruieren, Kommunizieren, Präsentieren. Bilder von Wissenschaft und Technik, München: Wallstein Verlag, S. 291-318, S. 310.
[15] Ebd., S. 292.
[16] Heintz/Huber 2001, S. 19.
[17] Belting 2007, S. 11.
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