Queer-feministische Lesart: Den Diskurs erweitern

Weder in Deutschland noch in Österreich gehören feministische und queere Inhalte selbstverständlich zum Curriculum der Psychologischen Fakultäten. Interessant ist das, weil gerade die Psychologie auf sexuelle und körperliche ›Störungen‹ abhebt und dennoch kaum kritisch-reflexive Theorie- wie Forschungsansätze in den Diskurs aufnimmt. Hier ein Teil meines Berichts zur Tagung Feministische und Queere Perspektiven für die Psychologie II.

Auf der Jagd nach dem Unterschied

Kritisch-empirische Forschung

Wie die Soziologie auch arbeitet die Psychologie vornehmlich mit quantitativen Methoden. Ihre Testverfahren versprechen objektive Standards. Wenn es aber um die Erfassung der Kategorie Geschlecht gehe, werde die Komplexität desselben in den wenigsten Fällen erfasst. Meist gebe es genau zwei Kategorien, nämlich female und male. Es komme daher häufig zum Misgendering, also der Anwendung sprachlicher Kategorien, die nicht mit der Selbstdefinition der bezeichneten Menschen übereinstimmt.

Kathleen Boström kritisierte daher in ihrem Vortrag, queere und damit nicht-binäre Geschlechter würden überhaupt nicht mit psychometrischen Messungen erfasst. Sie seien im Forschungsdesign gar nicht vorgesehen. Das liege einerseits an einer mangelnden Theoretisierung und andererseits an der Schwierigkeit, die Vielzahl geschlechtlicher Identitäten und Subjektivierungsweisen überhaupt in das starre Schema statistischer Erhebungswerkzeuge übersetzen zu können. Eine explorative Herangehensweise auf Augenhöhe sei notwendig.

Ähnlich argumentierte auch Anelis Kaiser, queer-feministische Neurowissenschaftlerin. Sie plädiert dafür, neurowissenschaftliche Beiträge kritisch queer zu lesen. Denn die Hirnforschung sei per se biologistisch, objektivierend und – an die Diskussionen über Intersektionalität anschließend – weiß. Außerdem seien die Ergebnisse vor dem Hintergrund geringer Fallzahlen (in der Hirnforschung sind es meist nicht mehr als 30 Proband_innen) und variierender Schwellenwerte mit Vorsicht zu genießen. Getreu dem Motto:

Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.

Vermeintliche Geschlechterunterschiede würden von Wissenschaftler_innen quasi im Vorbeigehen erhoben, ohne Geschlecht im Sinne von sex/gender im Vorhinein im experimentellen Aufbau angemessen zu berücksichtigen. Ein große Rolle bei der Produktion von Wissen, sowohl in der Hirnforschung als auch in der Psychologie, spiele zudem – und dieses Phänomen kennen auch Soziolog_innen – der Irrglaube, nur signifikante Ergebnisse seien anerkennbare und wertvolle Ergebnisse.

Die Jagd nach dem Unterschied, mithin der Abweichung, führe zur Marginalisierung von Ergebnissen, die möglicherweise eine neue und queer-feministische Sicht auf die Welt der Neuronen ermöglichen würden.