Auf Augenhöhe. Vielfalt der Perspektiven auf Kleinwuchs in Kunst- und Kulturgeschichte
1. Mai - 31. Mai
Künstlerische Auseinandersetzung mit der menschlichen Vielfalt findet sich seit jeher. In der Frühen Neuzeit wirkten sich Neugier, Schaulust und der zunehmende Wissensdurst auch auf den Umgang mit Menschen aus, deren Körpergröße gewissermaßen aus dem Rahmen fiel und zum damaligen Verständnis eines normgerechten Körpers nicht zu passen schien. Innerhalb der europäischen Hofkultur, aber auch in der künstlerischen Auseinandersetzung wurden Interpretationen und Deutungsansätze entwickelt, die unter anderem im Rahmen der Kuriositäten- und Wunderkammern ihren Platz fanden.
Doch wie differenziert waren eigentlich – im Vergleich zu heutigen Debatten – die Diskurse über differente Körperlichkeit und verkörpertes Anderssein in der Frühen Neuzeit? Lassen sich heutige Konzeptionen auf die damalige Lebenswelt übertragen? Oder finden wir in gegenwärtigen Diskussionen die Spuren frühmoderner Repräsentationsweisen? In Kassel wird sich im Frühjahr 2027 eine Sonderausstellung, gefördert von der Ernst von Siemens Kunststiftung, diesen und weiteren Fragen widmen.
Die Tagung dient u.a. zur Schärfung der Themenbereiche und Vorbereitung des Ausstellungskataloges. Durchgeführt wird sie vor dem Hintergrund eines grundlegenden Wandels im gesellschaftlichen Umgang mit Personen, denen heute das Merkmal (schwer-)behindert zugeschrieben wird. Mit diesem Etikett erhalten unter anderem auch kleinwüchsige Menschen den Zugang zu Nachteilsausgleichen; jedoch sehen sie sich gleichzeitig mit einer Vielzahl von Barrieren konfrontiert. 2026 jährt sich die Verabschiedung der UN-Behindertenrechtskonvention der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum 20. Mal. Im Ausblick auf dieses Jubiläum sowie auf die Sonderausstellung in Kassel soll im Rahmen der Tagung auch die Frage diskutiert werden, inwieweit die Grundprinzipien der Konvention – Inklusion, Partizipation, Selbstbestimmung, Barrierefreiheit und Gleichstellung – möglicherweise bereits in früheren historischen Kontexten aufzufinden sind.
Wie funktionierten Teilhabe und Inklusion in der Vormoderne? Gab es damals überhaupt ein Verständnis von „Behinderung“? Wie konnten Sicherheit und Freiheit, Würde und Anerkennung für behinderte Menschen hergestellt werden – oder war ihre Lebenswelt von Ausgrenzung und Stigmatisierung dominiert? Hierbei soll es auch um die kritische Reflexion und Revision einer linearen Entwicklungsgeschichte gehen, die einer „rückständigen“ Vormoderne die vermeintlich fortschrittliche Moderne gegenüberstellt. In vielen Bereichen, nicht nur den historischen Wissenschaften, ist dieser Ansatz bereits verfolgt worden, wenngleich sich weiterhin umfassende Forschungsdesiderate formulieren lassen.