Soziologische Annäherung. Bilder in der Wissenschaft

Im Vergleich zu früheren Epochen haben sich die Quantität und Qualität des gesellschaftlichen Bildervorrats in der (Post-)Moderne nicht zuletzt aufgrund rasanter Fortschritte auf dem Gebiet der digitalen Bildtechnologien gesteigert. Bilder sind allgegenwärtig und aus alltäglichen wie wissenschaftlichen Kontexten nicht mehr wegzudenken.

Omnipräsenz der Bilder

Zunehmend überlagern Bilder selbst textuelle Medienformate [1] und stellen somit einen wichtigen »Teil der materiellen Kultur der Wissensproduktion« [2] dar, der auch von der Soziologie nicht länger ignoriert oder gar als unproblematisch eingeschätzt werden kann.
Verschiedene Disziplinen beschäftigen sich deshalb mit den visuellen und materiellen Phänomenen von Sichtbarkeit. Denn letztlich handelt es sich bei Bildern – gleich aus welchem Kontext sie stammen – um machtvolle Konstruktionen, insofern sie als »Wissensträger, abhängig von den materiellen, technischen und technologischen Mitteln der Bilderzeugung« [3] an der ›Fabrikation‹ von Wahrheit beteiligt sind.

Cultural Turn

Die neu entstandenen bildwissenschaftlichen Disziplinen arbeiten dabei mit unterschiedlichen Konzepten. So zeugen der iconic turn und pictorial turn, die zu den verschiedenen cultural turns in den Kulturwissenschaften zählen, von der Schwierigkeit, sich Bildern oder bildlichen Ereignissen adäquat zu nähern.
Es lässt sich also nicht verallgemeinernd von der Bildwissenschaft sprechen, sondern wohl eher von den Bildwissenschaften.
Tenor beider Konzepte ist vor allem die Erkenntnis, dass Bilder »keineswegs nur Zeichen, Abbilder oder Illustrationen [sind]; sie entfalten eine ganz eigene Wirkungsmacht, die sich der Sprache zu entziehen scheint.« [4] Problematisch angesehen wird darüber hinaus, »wie sich Wissen im Bild zeigt, von welcher Art das gezeigte Wissen ist und wodurch es als solches gesehen werden kann.« [5]

Bilder als Produktionsergeignis

In den Blick der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der ›Omnipräsenz des Visuellen‹ rücken daher die Herstellungskonstellationen und -praxen von Bildern.
Bildlichkeit wird zum Ereignis. Es geht um Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten, Sehen und Wahrnehmen, Wissen und Glauben.
Insbesondere für wissenschaftliche Verfahren der Bildproduktion beispielsweise in Medizin oder Physik sind diese Aspekte von enormer Bedeutung und bedürfen einer kritischen Reflexion.

Sichtbarmachung des Unsichtbaren

Hier steht die Frage nach Glaubwürdigkeit und Authentizität der bildlichen Darstellung und des Dargestellten im Zentrum der Aufmerksamkeit. Denn da es sich bei den (natur-)wissenschaftlichen Visualisierungstechniken stets um eine Sichtbarmachung von Unsichtbarem handelt, wird das Problem der Abbildungsrelation umso deutlicher. Mit anderen Worten:
Geben die wissenschaftlichen Bilder das wieder, was ist oder wird das, was gezeigt wird, erst durch die Verfahren der Visualisierung hervorgebracht?
Um zu beschreiben, was das Bild ist und kann, gilt es zunächst einmal, auf Gemeinsamkeiten mit anderen Medienformaten hinzuweisen.

Bilder als kommunikativer Akt

Denn obwohl sich Form und Inhalt der verschiedenen Medien voneinander unterscheiden, ist doch allen die Trägerschaft und somit Verbreitung von Informationen gemeinsam. Zu differenzieren sind sie also nicht hinsichtlich der in ihnen gespeicherten Information, sondern in der Abruf- beziehungsweise Lesbarkeit derselben. Dass sie in irgendeiner Art und Weise ‚entschlüsselt‘ werden müssen, steht außer Frage.
»Ein Bild beginnt erst dann zu existieren, wenn es von einem Betrachter wahrgenommen und als solches interpretiert wird.« [6]
Diese Entschlüsselung und Aktualisierung des Bildlichen lässt sich grundsätzlich als kommunikativen Akt – im engeren Sinne zwischen Medium und Rezipient_in und im weiteren Sinne zwischen ›Schöpfer_in‹ und Rezipient_in – beschreiben.
Form und Inhalt verschränken sich auf verschiedene materielle und visuelle Weise zur Information und ermöglichen somit Kommunikation. Letztlich sind der Anblick eines Objektes und das Verstehen beziehungsweise Erkennen dieses Objektes oder dessen, was dieses Objekt bedeutet, von Belang.

Bilder als diskursives Ereignis

Aus diskurstheoretischer Perspektive lassen sich deshalb all diese Medienformate als Ereignisse beschreiben, die in unterschiedlicher Gewichtung visuelle, materielle und diskursive Elemente in sich tragen oder über diese vermittelt werden.
Sie sind »nicht als Summe kleinster bedeutungstragender Einheiten, sondern […] als kommunikativ-pragmatische Gesamtkommunikate« [7] zu begreifen.
Als solche sind Bilder ebenso wie sprachvermittelte Kommunikationen, Zahlen oder Texte in einen historisch spezifischen Diskurs eingebettet, wobei sie sich als machtstrategische Konstellationen bestimmter anerkannter sprachlicher und ›visueller Muster‹ [8] bedienen.

[1] Vgl. Heßler, Martina (2007): Die ›Mona Lisa der modernen Wissenschaften‹. Die Doppelhelix-Struktur als kulturelle Ikone. In: Alexander Gall (Hg.): Konstruieren, Kommunizieren, Präsentieren. Bilder von Wissenschaft und Technik, München: Wallstein Verlag, S. 291-318, hier S. 291ff.
[2] Werner, Gabriele (2008): Bilddiskurse. Kritische Überlegungen zur Frage, ob es eine allgemeine Bildtheorie des naturwissenschaftlichen Bildes geben kann. In: Horst Bredekamp, Birgit Schneider & Vera Dünkel (Hg.): Das Technische Bild. Kompendium zu einer Stilgeschichte wissenschaftlicher Bilder, Berlin: Akademie Verlag, S. 30-35, hier S. 30.
[3] Ebd.
[4] Bachmann-Medick, Doris (2009): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, S. 339.
[5] Werner 2008, S. 32.
[6] Halawa, Mark Ashraf (2008): Wie sind Bilder möglich? Argumente für eine semiotische Fundierung des Bildbegriffs, Köln: Halem, S. 47.
[7] Meier, Stefan (2008): Von der Sichtbarkeit im Diskurs – Zur Methode diskursanalytischer Untersuchung multimodaler Kommmunikation. In: Ingo Warnke & Jürgen Spitzmüller (Hg.), Diskurslinguistik nach Foucault – Methoden, Berlin; New York: de Gruyter, S. 263-286, S. 273.
[8] Vgl. ebd., S. 274.