Pierre Bourdieu: Symbolische Gewalt

Bourdieu konzipiert die Gesellschaft als einen sozialen Raum, der sich anhand eines Systems symbolischer Werte konfiguriert. Die Bestimmung der Positionierung von Individuen und Gruppen findet im Beziehungsgeflecht sozial relevanter Differenzierungen statt. Bourdieu nennt das Prinzip dieser symbolischen Konstellation symbolische Gewalt.
Im Gegensatz zur symbolischen Macht, die als »Möglichkeit zur Ausübung symbolischer Gewalt« [1] definiert ist, benutzt Bourdieu den Terminus der symbolischen Gewalt, um auf die Reproduktionsmechanismen hinzuweisen, die in der sozialen Praxis zu symbolischen Ungleichheiten führen. Sie sind für die Einzelnen kaum wahrnehmbar, da sie als Produktionsprinzip über die soziale Ordnung in das Leben der Individuen eingreifen [2].
Während physische und ökonomische Gewalt meist offen ausgeübt werden, operiert die symbolische Gewalt im Geheimen als »Unterscheidungs- bzw. Verteilungsprinzip« [3].
In dieser Funktion ist sie sowohl Ursache als auch Wirkungsweise gesellschaftlicher Ordnungspraxis und somit allen sozialen Phänomenen immanent. Sie gliedert den sozialen Raum in verschiedene Felder, denen eine jeweils spezifische Kapitalstruktur zugrunde liegt. Dementsprechend ist das verbindende Element von Feld und Kapital der Habitus.
Am Habitus manifestiert sich die symbolische Gewalt am augenscheinlichsten, weil die unlösbare Verbindung von strukturierender und strukturierter Struktur unmittelbar erfahrbar wird.
Da sich diese drei Gestaltungsfaktoren (Feld, Kapital und Habitus) gegenseitig stützen und nur in Kombination auftreten, können sie nicht unabhängig voneinander betrachtet werden.

[1] Schmidt, Robert (2009): Symbolische Gewalt (violence symbolique), in: Gerhard Fröhlich/Boike Rehbein (Hrsg.): Bourdieu-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart: J.B. Metzler, S. 231-235, S. 231.
[2] Vgl. Jurt, Joseph (2008): Grundwissen Philosophie. Bourdieu, Stuttgart: Reclam Taschenbuch, S. 86ff.
[3] Bourdieu, Pierre (1985): Sozialer Raum und ›Klassen‹. Leçon sur la leçon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt am Main: Surkamp, S. 9.